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 Die Woche im Überblick: Deutschland und Weltgeschehen -  Seit 2003

Kommentar

Bergkarabach: Hoffnungen ruhen hauptsächlich auf EU und OSZE
(zeta) – Ein Größenwahnsinniger in Moskau möchte eine von ihm gesehene einstige Stärke und Größe Russlands wieder herstellen. Dabei geht er – aus eigener Sicht – großzügig über eine großrussische Pflicht hinweg, sich Aserbaidschan wieder einzuverleiben, das einst sowjet-sozialistischer Bestandteil war.

Jetzt ließ der Größenwahnsinnige auch noch seinen Partner Armenien im Stich, früher ebenfalls sowjet-sozialistisch (Hintergrund unten).

Im Waffenstillstandsabkommen vom 9. November 2020 war festgelegt worden, dass Russland den Latschin-Zugangskorridor von Armenien nach Bergkarabach bis 2025 sichert. Mit Tausenden Soldaten.

Bis 2025 dauerte es aber noch lange, als Aserbaidschan im Sommer 2023 Hunger und Notstand als Waffen ins tödliche Spiel brachte. Das sich in der Ukraine verausgabende Russland ließ seine armenischen Verbündeten fallen, nachdem Aserbaidschan die Latschin-Nabelschnur blockiert hatte, was zu Hunger und Not in Bergkarabach führte. Die christliche Menschenrechtsorganisation CSI hatte Aserbaidschan bereits vorher Attacken gegen kulturelle Einrichtungen und Güter in Bergkarabach vorgeworfen.

Aktion zwischen Kleinkrieg, Krieg und eiskaltem Krieg: Dienstag und Mittwoch (19./20.) ließ Aserbaidschan wieder Artillerie, Raketen und Drohnen sprechen, bis die in Bergkarabach agierenden Militärs die weißen Fahnen schwenkten.

Nun bleibt die Lage unübersichtlich und unsicher, zumal sich Machthaber Paschinjan in Eriwan mit seinen Friedensbemühungen viele Feinde gemacht hat.

Die Regierungsspitzen von Armenien und Aserbaidschan hatten sich Anfang April 2022 in Brüssel unter Vermittlung der EU darauf geeinigt, einen Friedensvertrag für die Region Bergkarabach anzustreben.

US-Außenminister Blinken bot am 24. Mai 2022 während eines Telefonats mit Paschinjan sogar Unterstützung beim Aushandeln eines umfassenden Friedens mit Grenzziehungen und Demarkation an. Darauf kam es in der armenischen Hauptstadt Eriwan immer wieder zu massiven Protesten gegen Paschinjan.

Niemand darf in einem Rechtsstaat Gewalt anwenden, es sei denn die Polizei im Innern oder das Militär nach außen. Bevor ein Staat Krieg gegen einen anderen Staat führt, muss er diesem den Krieg erklären. Zunehmend wurden diese Prinzipien im Südkaukasus unterhöhlt. Etwa schleuste die Türkei 2020 beim Feldzug Aserbaidschans gegen Bergkarabach tausende Dschihadisten aus Syrien zum Kampf nach Berg-Karabach ein.

Zum Teil stehen die aserbaidschanischen Truppen unter dem Kommando türkischer Offiziere, ohne dass Ankara und Baku dies zugeben.

Noch komplizierter wird die Gemenge-Lage dadurch, dass sich Eriwan seit einiger Zeit von den USA militärisch beraten lässt, woran sich insbesondere Putin in Moskau stört, was möglicherweise seine Schutzambitionen lähmt.

So ruhen die größten Hoffnungen nun auf der EU und der ebenfalls vermittelnden Minsk-Gruppe der OSZE.

Unsere Zeitung stellte 2021 eine Friedensethik für die Region auf, die aus dieser einfachen Trilogie besteht:

  1. Du sollst nicht töten.
  2. Leben und leben lassen.
  3. Behandele niemanden in einer Weise, in der du nicht behandelt werden willst. 22/9/2023

 Hintergrund

Bergkarabach Teil Aserbaidschans? Kommen wir dazu auf Stalin zu sprechen
(zeta) – Erneut kriegerische Handlungen: In und um Bergkarabach dröhnten wieder die Waffen. Aserbaidschan griff am Dienstag (19.) die armenische Exklave Bergkarabach mit Panzern und anderem schweren Gerät an.

Damit wurde eine große Chance vertan, den Jahrhunderte alten Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan auf dem Verhandlungswege friedlich beizulegen.

Deutsche Medien wie ARD und ZDF konstatieren immer wieder und nebenbei, obwohl Bericht erstattend, Bergkarabach sei völkerrechtlich aserbaidschanisches Gebiet, jedoch mit überwiegend armenischer Bevölkerung.

Indem Medien und Politiker Bergkarabach geographisch oder völkerrechtlich Aserbaidschan zuordnen, festigen und rechtfertigen sie einen Anspruch der Muslime auf das Gebiet.

Medien und Politiker greifen so – ohne zu wissen, was sie tun – in die Auseinandersetzung ein. Sie stellen sich auf die Seite des islamischen Aserbaidschan, das ein nicht-islamisches Bergkarabach offenbar beseitigen, es sozusagen auf der Landkarte ausradieren will.

Was bewusst oder unbewusst ignoriert wird, sind Fakten, dass der Gewaltherrscher Stalin Bergkarabach 1920 und 1923 willkürlich und per Dekret der aserbaidschanischen Sowjetrepublik zuschlug – ohne Beachtung der Geschichte der Region seit 1805 und ohne Respekt vor Armenien und den Entwicklungen in den zwei Jahrzehnten um 1903 bis 1923.

Auch der Völkermord 1915/16 an den Armeniern, der zu einer armenischen Einwanderungswelle in Bergkarabach führte, spielt in dem komplexen Szenario eine Rolle. Damit wird deutlich, wie es geschichtlich zu verstehen ist, dass Armenien Aserbaidschan jetzt ethnische Säuberungen vorwirft. 20/9/2023